Derzeit erregt die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen viel Aufsehen. Nach vielen Sondierungen hat sich die SPD anscheinend entschieden – zumindest vorerst – keine Regierung zu bilden. Die Regierung Rüttgers soll fürs Erste geschäftsführend im Amt bleiben. Dafür wird die NRW-SPD kritisiert: von der Bundes-SPD, die die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit brechen möchte; von den Grünen und der CDU, die beide auf eine Regierungsbeteiligung hoffen; von den Medien, die nur an Regierung und Ministerposten denken, anstatt an Gesetze die beschlossen werden. Gerade letzteres scheint vielen schwer vorstellbar zu sein – dass Gesetze auch ohne Beteiligung der Regierung beschlossen werden können.
Gewaltenteilung
Dabei sollte dies der Normalzustand sein. Moderne Demokratien nutzen das Prinzip der Gewaltenteilung. Üblich ist eine Aufspaltung in Legislative (gesetzgebende Macht – normalerweise das Parlament), Exekutive (Regierung und Verwaltung) und Judikative (Rechtssprechung). Diese Gewalten sollen sich gegenseitig kontrollieren, aber unabhängig voneinander agieren können. Dies funktioniert in Deutschland zufriedenstellend bei der Judikative. Rein theoretisch sind auch das Parlament (Legislative) und die Regierung (Exekutive) voneinander getrennt. Praktisch aber sieht es anders aus: wie oft passiert es, dass ein Gesetz ohne Zustimmung der Regierung beschlossen wird?
Koalitionsverträge bilden dabei den Grabstein für die Unabhängigkeit beider Gewalten. Natürlich versuchen die Koalitionspartner die von ihnen jeweils vertretenen Vorstellungen auch im Koalitionspoker durchzusetzen, aber in der Realität werden Abstriche hingenommen. Und so werden bestimmte politische Vorstellungen aus Rücksicht auf den Koalitionspartner hintenangestellt. Während der letzten großen Koalition gab es eine parlamentarische Mehrheit aus SPD, Grüne und Linke für die Einführung von Mindestlöhnen. Beschlossen wurden sie jedoch nicht, da die SPD Rücksicht auf die Koalition nahm. In größerem oder kleinerem Maß trifft dies auf die meisten Koalitionen zu. Dies stellt jedoch in gewissem Maße einen Betrug an den Wählern dar, da diese ja einer Position eine parlamentarische Mehrheit verschafft haben, sich also auch die Umsetzung dieser Position wünschen.
Alternativen
Meiner Meinung nach sollte die Regierung und die Gesetzgebung wieder mehr entflochten werden. Natürlich sollte die Regierung Gesetzesvorschläge einbringen können, aber auch die Opposition sollte die Chance haben, eigene Gesetzesvorschläge durchzubringen, wenn sie eine Mehrheit im Parlament finden.
Wie das geht zeigte Hessen. Als Ypsilanti es nicht gelang eine Regierung zu bilden blieb Koch geschäftsführend im Amt. Der Opposition gelang es in dieser Zeit die Studiengebühren abzuschaffen. Nur der unbedingte Wille zur Regierungsteilnahme zerstörte diesen Zustand.
Natürlich soll nicht immer die alte Regierung im Amt bleiben. Aber es gibt andere Möglichkeiten.
Andere Staaten haben andere Modelle. In den USA und in Frankreich wird die Regierung in Person des Präsidenten direkt gewählt. Dieser muss nicht immer über eine Mehrheit seiner Partei im Parlament verfügen. Selbst wenn dies der Fall ist, muss der Präsident oft auch Abgeordnete seiner eigenen Partei von den Gesetzesvorschlägen überzeugen.
In der Schweiz werden alle großen Parteien an der Regierung beteiligt. Auch hier können sich für verschiedene Gesetzesinitiativen wechselnde Zusammenarbeiten im Parlament ergeben.
Die Regierung könnte durch eine relative Mehrheit – statt wie jetzt durch absolute Mehrheit – gewählt werden. Minderheitsregierungen wären damit ohne Absprachen mit anderen leicht möglich.
Aber auch ohne Änderungen des Systems könnte die Verkettung zwischen Regierung und gesetzgebender Mehrheit aufgelöst werden. So könnte sich ein Koalitionsvertrag auf die Ministerposten und einige wenige zentrale Fragen reduzieren – den Haushalt beispielsweise. In allen anderen Fragen könnte den Regierungsfraktionen freie Hand bei ihrem Abstimmungsverhalten gelassen werden.
Wie auch immer man das regelt, eine Situation bei auch die Regierungsfraktionen öfter im Sinne ihrer Wähler entscheiden können, anstatt auf die Koalition Rücksicht zu nehmen, sehe ich als wünschenswert an.